Essay on Heidi Sill 

Martin Eugen Raabenstein 
in institut for intentionality research, 2024

 

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Die mediale Oper der Selbstinszenierung ist eine locker zusammenhängende Abfolge von Akten in Dekadensprüngen. Ihre leidenschaftlich vorgetragenen Libretti handeln stets von der aktuellen und notwendigen Befreiung; Befreiung von der Beinbehaarung, vom Büstenhalter und schlussendlich von der Geschlechtszugehörigkeit. Ist die logische Reihung durchwandert, vollzieht das orchestrierte Spektakel eine kokette Kehrtwendung und trampelt den Pfad einfach rückwärts zurück, in der erregenden Befreiung von der Befreiung. Alles dereinst im Ermächtigungstaumel Abgeworfene wird nun flugs wieder verbaut; sind es diese Haare an gewissen Stellen, das Silikon im Gesäß oder auch weiter oben. Der Marktplatz des eigenen Körpers ist mächtig geschäftig im An- und Abtransport der Ingredienzen, entsprechend der jeweils standardisierten Präsentationsschablone. Die geschmeidig angrenzende Schönheitsindustrie darf sich freudig die Hände wund reiben bei der kommenden, großflächigen Entfernung gestochener Körperverzierungen. Wo kein Kläger ist, wird auch kein Urteil erwartet, und so findet jede Generation ihr Fähnchen, dem sie bereitwillig und brav individuell hinterherstolpern darf.

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‚Die Schöne und das Biest‘ durchläuft  eine lange Wandlung von Disneys Schmalz-Klassiker zum Sinnbild des inneren Dialogs zeitgenössischer Selbstdarstellung. Joni Mitchell wird zugesprochen, in ihren Songs den weiblichen Alltag und die damit einher rollenden Stolpersteine in poetisch eindrücklicher Weise in die Musikwelt getragen zu haben. Es sind in erster Linie die Musikerinnen, die mit ihrer jeweiligen Zeitgeistverkörperung Einzug halten in die glamourösen Doppelseiten der Modemagazine – Grace Jones, Madonna, Björk oder Beyoncé, vor allem Madonna und deren artifizielle Wandelbarkeit, unter dem geschickt von David Bowie entwendeten, glitzernden Chamäleonjäckchen. Dieser wiederum klaut den Trick mit dem Eyelash von Marc Bolan, aber das sind dann ganz andere Geschichten, die Frau behält die Cover-Story fest im Griff. Es wird eifrig an ihr gezerrt, um sie herum genäht und verpackt, bis irgendeine Heidi plump das Licht ausknipst und nur noch das einsame Neon „Bitch“ den Raum beträumt.

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„Life is what you make it“ beinhaltet eine schwer zu wiederlegende Aussage, und wer längere Zeit in Paris gelebt hat, weiß sehr genau, wie links und rechts neben der Seine die Haut getragen und surreal kostümiert wird. Heidi Sill umwindet die menschliche Erscheinung in verschiedenen Medien, und wenn nur noch der Vorhang im Stillen weht, hinter dem man sich dem neugierigen, nachbarlichen Blick entzieht, verbleibt die sich verbergende Figur dennoch im Raum, als die Idee ihrer selbst. Durch Sills zeichnerische Vermählung von Gesichtsmuskel und Haar schleicht dieselbe Vision – Muskelhaar, Gesichtsfrisur – auch hier die Scharade um die Abwesenheit der Trägerin, im Spiel verloren unter dem sich nicht entscheiden wollenden Lineament. In den Kollagen der Künstlerin tritt dieses etwas herausschneidende Moment noch deutlicher zu Tage. Allem entströmt der Duft von Savoir-vivre, aber es ist die olfaktorische Präsenz der Umstehenden, der Neugierigen, die die Nase tastend umrundet. Sills Werke zu erkunden ist die Betrachtung einer Betrachtung, ein Verweis auf die Falte im Raum, in der, wie wir es bei Ian McEwan erfahren, der Körper sich auflöst und verschwindet. Die Künstlerin beobachtet dieses Perdu ihrer Subjekte nüchtern, die verwehende Klage einer Louise Bourgeois steht hier nicht im Raum.

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In der Stadt Paris liegt eine weitere, feine Verbindung hin zu Hans Bellmer, dem Puppengott, verloren in der Mechanik eines sexualisierten Steckmodules. Zeitlebens sucht Bellmer in seine Vision des Weiblichen einzudringen, vergebens. Aus der Manie seines fetischierten Voyeurismus dringt der brünftige Schrei, den wir nur sehen, aber nicht hören. Michel Piccoli kann ihn uns in ‚Themroc‘ mehr als nur verdeutlichen. Paris, du alter, durchgelegener Diwan, stünde Freuds Sofa hier, hätten wir ein Problem weniger. An Heidi Sills süffisanter Distanz erholt sich der durchwühlte Betrachter. Ihre Welt behandelt nicht das Verschwinden des Ichs, vielmehr die schichtweise Auflösung der anderen, unter deren Kostümierung von Tattoos, Brandings, Piercings und genitaler Flexibilität. Hier schwebt kein mahnender Finger, kein Räuspern kommentiert das Geschehen. ‚Die Menschen wissen, was sie tun; häufig wissen sie, warum sie das tun, was sie tun; was sie aber nicht wissen, ist, was ihr Tun tut‘, Michel Foucault, der ordnende Beobachter. Der schlaffe Mensch, gebrochen in seiner freien Entfaltung durch das Christentum und die Psychoanalyse; die Eros-Hatz gebiert Kleinlichkeit, Konsenssucht und sendungswütige Allwissenheit. Peter Sloterdijk, der Zornversteher.

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An den freudlos, trockenen Tonleitern der Analyse vorbei, ist der Oktavenkletterer Freddie Mercury trotz seines frühen Todes, oder gerade weil, eine Ikone der sexuellen Liberalisierung der Achtziger Jahre. ‚We Will Rock You‘ ist eine traumtänzerisch doppeldeutige Parole und Matrix der letzten fünfzig Jahre. Wie auch bei ‚Do Your Thing‘ gebiert die Hymne der freizügigen gesellschaftlichen Öffnung eine ganze Reihe neu zu bespielender Schaufenster derselben. Heidi Sills Inszenierung andernorts zuzeiten rüde kommerzialisierter Pseudo-Lifestyle-Attitüden weiß genau um die Grenze zum angeeigneten Glamour-Kitsch der anderen. Wenn das sein Fahrzeug betankende Model auf einer Gucci #OfCourseAHorse-Anzeige mit einer Reiterpeitsche unter dem schwarzen, armlangen Latexhandschuh Benzin verteilt, ist es nicht mehr die rote Sonnenbrille, der die smarte Laszivität entströmt. Alles fließt, komm hak dich ein, aber wisse: Du kannst alles werden, was du willst, was du aber nicht bist, wirst du nie sein.

 

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the medial opera of self-dramatisation is a loosely connected sequence of acts and bounds in decades. its passionately performed libretti always deal with the current and necessary liberation; liberation from leg hair, from the bra and finally from gender affiliation. once the logical sequence has been completed, the orchestrated spectacle performs a basic u-turn and simply tramples the path backwards, in the exciting liberation from liberation. everything that was once cast off in a frenzy of empowerment is now cursed and reattached; whether it’s the hair in certain places, the silicone in the buttocks or even further up. the marketplace of one’s own body is mightily busy in the supply and removal of ingridients, according to the respective standardised presentation template. the smoothly neighbouring beauty industry can rub its hands with glee at the coming, large-scale removal of engraved body ornamentation. where there is no plaintiff, no judgement is expected and thus each generation finds its flag, which it can willingly and obediently stumble after individually.

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‚beauty and the beast‘ has undergone a long transformation from disney’s schmaltzy classic to a symbol of the inner dialogue of contemporary self-expression. joni mitchell is credited with having brought female life and the daily stumbling into the world of music in a poetically impressive way in her songs. it is first and foremost the female musicians who, with their respective zeitgeist embodiment, have found their way into the glamorous double pages of fashion magazines – grace jones, madonna, björk or beyoncé, above all madonna and her artificial changeability, under the glittering chameleon jacket skilfully stolen from david bowie. the latter in turn steals the trick with the eyelash from marc bolan, but these are completely different dinosaur stories, the woman keeps a firm grip on the cover story. she is eagerly tugged at, sewn and wrapped around until some heroines clumsily switch off the light and the lonely neon ‚bitch‘ still fills the room.

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‚life is what you make it‘ is a statement that is difficult to refute, and anyone who has lived in paris for any length of time knows very well how skin is worn and surreally costumed to the left and right of the seine. heidi sill wraps the human appearance in various media, and when only the curtain blows silently, behind which one withdraws from the curious, neighbourly gaze, the concealing figure nevertheless remains in the room, as the idea of itself. the same vision creeps through sill’s graphic marriage of facial muscle and hair, here too the charade of the wearer’s absence, lost in play beneath the lineament that refuses to make up its mind. in the artist’s collages, this moment of cutting out something is even more evident. the scent of savoir vivre emanates from everything, but it is the olfactory presence of the bystanders, the curious, that circles the nose, groping. exploring sill’s works is the contemplation of a contemplation, a reference to the fold in space, in which, as we experience with ian mcewan, the body dissolves and disappears. the artist observes this perdu of her subjects soberly, the louise bourgeois lament is not in the room here.

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in the city of paris lies another subtle connection, to hans bellmer, the doll god, lost in the mechanics of a sexualised plug-in module. throughout his life, bellmer seeks to penetrate his vision of the feminine, in vain. from the mania of his fetishised voyeurism emerges the rutting scream that we can only see, but not hear. michel piccoli can more than just make it clear to us in ‚themroc‘. paris, you old, worn-out divan, if freud’s sofa were here, we would have one less problem. the rummaged observer recovers from heidi sill’s smug distance. her world does not deal with the disappearance of the self, but rather the layer-by-layer dissolution of others, under their costumes of tattoos, brandings, piercings and genital flexibility. no admonishing finger hovers here, no clearing of the throat comments on what is happening. ‚people know what they do; they often know why they do what they do; but what they don’t know is what their doing does‘, michel foucault, the organising observer. the slack human being, broken in his free development by christianity and psychoanalysis; the eros-hunt gives birth to pettiness, consensus-seeking and broadcasting omniscience. peter sloterdijk, the anger-decoder.

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past the joyless, dry scales of analysis, despite his early death, or perhaps because of it, the octave climber freddie mercury is an icon of the sexual liberalisation of the eighties and ‚we will rock you‘ is a balletic, ambiguous slogan and matrix of the last fifty years. as with ‚do your thing‘, the anthem of permissive social opening gives birth to a whole series of new showcases for it. heidi sill’s staging of rude commercialised pseudo-livestyle attitudes elsewhere knows exactly where the boundary to the appropriated glamour-kitsch of others lies. when the model refuelling her car in a gucci hashtag/ofcourseahorse ad spreads petrol with a horsewhip under her black, arm-length latex glove, it is no longer the red sunglasses from which the smart lasciviousness emanates. everything flows, come on in, but know: you can become anything you want, but you will never be what you are not.