Die bessere Haut und der bessere Makel

Gunter Reski 
in Ähnliche Wirkungen / Similar Effects
ed. by Matthes & Seitz Berlin, 2010

 

Heidi Sill macht Kunst mit und über optimierte menschliche Oberflächen. Man könnte auch sagen, sie bricht dem durchaus penetranten Beautyregime einen Zacken aus der Krone. Die Zeiten, in denen Kunst störende Pickel und andere kleine Makel im Konterfei idealisierter Herrscher und anderer Lichtgestalten retuschierte, sind natürlich schon lange vorbei. Schönheitsideale werden von der bildenden Kunst schon lange nicht mehr entwickelt. Maßgebliche gesamtgesellschaftliche Stylecodes auch länger nicht mehr. Die vielzitierte Autonomie kommt hier nach wie vor auch einer Selbstbeschränkung gleich. Um Parameter des Menschenbildes kümmert sich schon länger und erheblich effizienter die Kosmetik-, Mode- & Celebritybranche. Und die macht das eher leider zu gut. Der Perfektionsgrad ist durchaus erschütternd und kaum noch von dieser Welt. Aber das war früher mitunter auch nicht viel anders: Bei Computertomographien der bekannten Nofretete-Büste wurde jüngst unter der Gipsschicht noch ein anderes Gesicht der Nofretete mit Falten und krummer Nase entdeckt. Wenn es schon kein zweites Leben geben kann, dann doch bitte mindestens eine zweite Haut. Nach Botox scheint jetzt das unaussprechliche körpereigene Wundermittel Hyaluron zumindest vorübergehend hilfreich. Unterspritzen als Wort ist fast so toll wie Schonvermögen. Die Warnungen nach einer halben Stunde Internet halten sich in Grenzen, aber was weiß man.

Hinter dem einem perfekten Look sitzt immer noch ein ganz anderer. Natürlich müsste man jetzt länger über Michael Jackson sprechen. Und dass eigentlich sein vermeintlicher Nasen-Operationswahn nur darauf aus war, eine so perfekte Nasen-Soll-Bruchstelle wie bei der Sphinx herzustellen. Am besten wäre noch gewesen, wenn seine malträtierte Nase einfach live mitten auf der Bühne, plong, sich Richtung Fußboden verabschiedet hätte. Und plötzlich wäre Michael Jackson die Reinkarnation der Sphinx gewesen, die auch noch perfekt tanzen kann. Sehr schade, dass das nicht mehr geklappt hat.

Nicht wenige Models stehen morgens vorm Spiegel und denken, scheiße, da sitzen schon wieder einige Pixel schief, aber wie komm ich jetzt mit Photoshop in mein lädiertes Spiegelbild rein? Nicht nur hierdurch ergeben sich zwangsläufig neue Angriffsflächen oder, sanfter formuliert, Betätigungsfelder für bildgebende künstlerischen Verfahren. Genau hier setzen Heidi Sills Arbeiten via verschiedener Einfallswinkel an. Die überästhetisierten Scheinschönheiten bekommen wortwörtlich einige verdiente Kratzer ab.

Eigentlich entsprechen alle Arbeitsweisen in diesem Katalog einem umfassenden Mehrstufenpäckchen das besagtes Themenfeld gekonnt umzingelt. All diese Verfahren – Heidi Sill arbeitet gezielt in Serien - haben eins gemeinsam: den interessanten Makel. In Kurzversion geht es jeweils um die konkrete Attacke per Collage (cuts), ein subtiles Unterlaufen via direkter Verunstaltungsmalerei auf Hochglanzseiten (models), eine abwegig ästhetisierte Oberflächenkultivierung des Looks hinter der ersten Haut sowie in einer Art Umkehrung die grafische Neutralisierung vielteiliger Brandverletzungen (skins).

Was hier erst mal martialisch klingt, wird in großformatigen Zeichnungen (skins) geradezu elegant mit grafischen Außenlinien neutralisiert. Jeweils eine Vielzahl abstrahierter Brandverletzungen werden in einem Gesicht übereinander gemappt. So entsteht eine diffuse Art der Gesichtskartographie, die wenig Gutes ahnen lässt, ohne genannte Hintergrundinformationen jedoch nichts konkret abstoßendes hat. Eine Irritierung, was all diese dünnkantigen Outlines in diesem Gesicht verursacht haben mag, bleibt nachhaltig im Blick des Betrachters stecken, auch weil Augen, Nase und Mund immer in der Darstellung außen vor bleiben. Die geisterhafte Anmutung dieser Unmenge von fusslig-zarten Markierungen legt auch eine Art Eyetracking nahe.

In der Collagenserie cuts arbeitet Heidi Sill mit einem Ausgangsmaterial, das sich wie kaum ein anderes des Knowhow´s altmeisterlicher Malerei bedient. Die professionelle Modefotografie ist da sehr effizient geworden, was allerdings eher nur Kunsthistoriker bemerken. Die wiederum kaufen die italienische Vogue recht selten. Heidi Sill schneidet durchaus rabiat und mit direkt schmerzhafter Anmutung bestimmte Gesichtspartien wie Augen, Wangen und anderes weg. Die Beschreibung klingt viel simpler als das Ergebnis einen erwischt. Zum Teil geht die Klinge direkt in die Augäpfel rein, aber eben nicht nur, sondern mit weiteren (De-)Kompositionseingriffen werden auch überlange Wimpern hinzugefügt, oder einfach abstrakte kurvige Ausschnittsformen an den Wangen platziert, die das ursprünglich perfekt anmutende Antlitz weiter durchlöchern. Entscheidend ist weiter, dass hinter den weggeschnittenen Bildteilen immer noch andere Gesichtsfetzen von dahinter liegenden Magazinseiten zum Vorschein kommen. Diese löchrig bearbeiteten Konterfeis erhalten so einen stark maskenartigen Charakter, wobei das Ausgangsgesicht aber immer zum Großteil unangetastet bleibt. Durch dessen sphärisch lebensechte Inszenierung wirkt dieser Teint nach wie vor tau- , puder- oder pixelfrisch. Um so mehr erscheinen die beschriebenen Ausschneidungen weiterhin bedrohlich verletzend. Wäre das ganze Gesicht weggeschnippelt, wüsste man nicht, worum man trauern sollte. Auch das schlüsselreizfixierte menschliche Betrachterauge, das instinktiv immer auf sein eigenes bedrohtes Gesicht rückkoppelt, macht diese grafisch-chirurgischen Einschnitte so virulent. Insgesamt imponiert hier eine gestapelt kubistische Bildanmutung mit komplexen Sandwichqualitäten. Mein Auge beißt da nicht nur in die übliche Schicht Hyper-Schinken, sondern als Surplus bekommt der `synaptische Gaumen´ noch zwei, drei weitere Geschmacksteints serviert bzw. nachgereicht.

In einer zweiten Serie (models) mit Modemagazinen als Ressource kommen keine Klingen zum Einsatz, sondern eine subtile Trompe-l'œil-Malerei fügt den Köpfen der Models direkt auf den Hochglanzseiten Verletzungen wie Blutergüsse oder dezente blaue Flecke zu. Mitunter hat die applizierte Malerei fast photorealistische Qualitäten. Nicht dass es darum explizit ginge. Ein bestimmter Grad an suggestiver Wirklichkeitsnähe ist für Heidi Sills subversive Bildumwertung wesentlich, eben kein formaler Selbstzweck. Die Malweise kippt manchmal auch leicht Richtung Schminkunfall. Damit zieht dieses Zuviel an Schminke auch dem restlichen überinszenierten Hochglanzlook den Boden unter den Füßen weg, heißt die vermeintlich hyperreale Selbstverständlichkeit bröckelt so von den Seiten runter. Treffen sich zwei Lügen in unmittelbarer Nachbarschaft, wird eine der beiden Unwahrheiten automatisch umso offensichtlicher.

Eine hochgradig manierierte Bildwelt wird von Heidi Sill mannigfaltig zweckentfremdet und konvertiert in eher schwer verortbare Bildsignale. Es geht natürlich nicht um moralische Dekadenzkritik. Eher um notwendiges Relativieren deutlich überkonditionierter Schönheitskonstruktionen. Und dass sich diese auch mit den eigenen Mitteln auskontern lassen ohne Didaktik und pflichtschuldige Dokumentationen. Trotz Heidi Sills bildnerischer Attacken bleibt die Anmut dieser ephemeren Wesen unangetastet. Die beschriebenen Unterlaufungen mit recht rabiaten künstlerischen Drehmomenten schütteln gekonnt die Scheuklappen des Betrachters innerhalb eines omnipräsenten Ästhetikopferschemas ab, dem sich auch kaum die nichtwestliche Verbraucherwelt entziehen kann. Das ist erheblich schwerer zu bewerkstelligen, als es hier beschrieben klingt. Fragen Sie mal ihre Tochter, warum sie sich gerade noch ein Kilo weggehungert hat. Natürlich auch nur ein Klischee. Leider aber funktionieren Klischees in etwa so wie sich selbst multiplizierende Klettverschlüsse.

 

The Best Skin and the Better Defect

Heidi Sill produces art both with and concerning optimised human exteriors. You could also say that she knocks skin off the nose of a regime of beauty that is certainly very obtrusive. The days are long gone, of course, in which art touched up disturbing spots and such like minor defects in the portraits of idealised rulers and other luminaries. It is a long time now since the ideals of beauty were developed by fine art. And the same can be said of generally definitive style codes in society. Here, as in the past, our much cited autonomy amounts to self-limitation. The spheres of cosmetics, fashion and celebrity have been concerned with the parameters of the human image for a longer time and in a considerably more efficient way. And, unfortunately, they do so all too well. The degree of perfection is certainly shocking and scarcely of this world. But sometimes that was not much different in the past: computer tomography of the famous bust of Nefretite recently revealed a different face of Nefretite with wrinkles and a crooked nose under the layer of plaster. If we cannot hope to enjoy a second life, please give us a second skin at least. After Botox, it seems that the body’s own unpronounceable miracle compound hyaluronic acid is helpful, at least temporarily. As a word, “Unterspritzen” (underject) is almost as crazy as “Schonvermögen” (exempt property). After half an hour’s search on the Net, the warnings are few and far between, at least, but what do we really know?

There’s always a very different picture behind every look that’s perfect. Of course, this would be the opportunity to talk at length about Michael Jackson. And the fact that his supposed nose-job mania was only aiming, in fact, at creating a predetermined breakage point as perfect as that of the sphinx. The best thing would have been for his poor maltreated nose to simply say goodbye and head for the floor – plonk – live on stage. And suddenly Michael Jackson would have been the reincarnation of the sphinx, who can dance perfectly this time around. It’s a real shame that it never quite happened.

Many a model stands in front of the mirror in the morning and thinks, oh shit, a few pixels have slipped out of place again today, but how do I access my damaged reflection in Photoshop right now? This is not the only way towards the inevitable development of new areas open to attack by image-generating artistic processes – or to put it more kindly, possible areas of artistic activity. It is this precise point at which Heidi Sill’s works start out via multiple angles of incidence. The hyper-aestheticised, apparent beauties are on the receiving end – quite literally – of many well-deserved scratches.

Actually, all the working methods in this catalogue correspond to a comprehensive, several-stage package that skilfully encompasses the said thematic field. All these processes – Heidi Sill deliberately works in series – have one thing in common: the interesting defect. To put it briefly, this is about a concrete attack per collage (cuts), a subtle undermining via the direct painting of disfigurements onto glossy pages (models), and an absurdly aestheticised surface-cultivation of the look behind the first skin, as well as the graphic neutralisation of multiple burn injuries through a kind of reversal (skins).

What may sound menacing at first is neutralised in large-format drawings (skins) using graphic outlines in a positively elegant manner. In each case, a large number of abstracted burn injuries are mapped out in a face, one above the other. A diffuse kind of facial cartography develops as a result; this doesn’t conjure anything good, but without background information there is nothing physically repellent about it. An irritation about what might have caused all these thin-edged outlines in the face catches the viewer’s gaze and sticks – also because the eyes, nose and mouth are always left out of the portrait. The ghostly appearance of this huge mass of fuzzily delicate marks also suggests a kind of eye-tracking.

In the collage series cuts, Heidi Sill works with a starting material that makes use of the know-how of the old masters’ painting like few others. Professional fashion photography has becomes very efficient in this respect, but only art historians are likely to notice. For their part, they rarely buy Italian Vogue. In a manner that is undeniably ruthless and looks immediately painful, Heidi Sill cuts away specific parts of the face such as the eyes, cheeks etc. The description sounds much simpler than the impact made by the result. Sometimes the blade goes directly into the eyeball, but this is not all; using further interventions of (de)-composition she also adds over-long eyelashes, for example, or simply abstract, curving cut-out forms placed on the cheeks, which perforate the originally apparently perfect face even more. Another decisive point is that behind the cutaway parts of the image, other scraps of faces from magazine pages behind them are always revealed as well. These holey, processed portraits are thus given a strong mask-like character, whereby the initial face always remains largely untouched. As a consequence of its ethereally life-like staging, this complexion still seems as fresh as the morning dew, powder or pixels that comprised it before. And the cut-outs described here appear all the more threatening and injuring as a result. If the whole face was cut away, we would not know what we have lost to mourn it. The viewer’s human eye, so fixed on key stimuli – which instinctively links the image back to his/her own threatened face – makes these graphic-surgical cuts so virulent. All in all, what impresses us here is the stacked, cubist appearance of the image with complex sandwich qualities. Here, my eye not only bites into the usual layer of hyper-ham; as surplus, the `synaptic palate´ is handed or rather served up two or three more flavours of complexion on a plate.

No knife blades are used in a second series (models) using fashion magazines as a resource; a subtle trompe-l'œil painting adds injuries such as haematoma or purple bruises directly onto the models’ visages on the glossy pages. Sometimes this painting has an almost photo-realistic quality. Not that this is what it is all about, at least not explicitly. A certain degree of suggestive closeness to reality is essential to Heidi Sill’s subversive revaluation of images, but it is not a formal end in itself. Sometimes, the painting process slips slightly in the direction of a make-up accident. This excess of make-up pulls the rug from under the feet of the rest of the over-staged, glossy look; that is, the apparently hyperreal natural quality literally crumbles off the pages. When two lies meet in close proximity, one of the two untruths will automatically become all the more obvious.

Heidi Sill alienates an extremely mannered pictorial world in a range of ways and so converts it into visual signals that are rather difficult to pin down. Of course, this is not a matter of moral criticism of decadence, but rather of the necessary relativising of some obviously over-conditioned constructs of beauty. And the artist shows that they can be opposed using their own means, without didacticism and dutiful documentation. Yet the charm of these ephemeral creatures remains untouched despite Heidi Sill’s artistic attacks. The above-mentioned methods of undermining – with their extremely ruthless, artistic turning points – cleverly shrug off the viewer’s blinkers, which belong to an omnipresent scheme of aesthetics’ victims that even the non-western consumer world has great difficulty evading. This is much more difficult to bring about than it sounds when described here. Ask your daughter why she has just gone hungry to get rid of another kilogramme. That’s only another cliché, of course. But unfortunately, clichés function in roughly the same way as self-multiplying Velcro tapes.